Mothers*, Warriors, and Poets: Fürsorge als Widerstand
Mit Werken von Anna Gohmert, Renate Liebel, Marie Lienhard, Anna Schiefer und Julia Wirsching
Kuratiert von Sascia Bailer und Didem Yazıcı
Frauen* – insbesondere Mütter* – leisten weiterhin den Großteil un(ter)bezahlter Sorgearbeit, sei es im privaten oder im öffentlichen Bereich. Im Kunstbetrieb werden diese Ungleichheiten im Zusammenhang mit Sorgeverantwortung noch verstärkt; der Gender Pay Gap im Kunstbereich liegt höher als im gesamt-gesellschaftlichen Durchschnitt und Diskriminierung aufgrund von Sorgearbeit ist weit verbreitet ist: “Sex, Tod, Politik: Die Kunst kann heute alles zeigen. Aber Kinder? Sie sind kein Thema. Vor allem für ihre Mütter gelten sie als Karrierekiller”, so die Kunstkritikerin Elke Buhr im Kunstmagazin Monopol.
Unser künstlerisch-aktivistisches Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm setzt sich gegen solche hartnäckigen, patriarchalischen Narrative zur Wehr, da sie festzuschreiben scheinen, wie Fürsorge in unserer Gesellschaft organisiert wird – und dadurch nur weiterhin Menschen ausschließt, die Fürsorge leisten. Indem wir also feministische Ethiken der Fürsorge in den Vordergrund stellen – durch künstlerische Arbeiten und diskursive Formate – wollen wir diese diskriminierenden Erzählungen in Frage stellen und gemeinsam Gegenentwürfe ausloten:
Die Ausstellung zeigt fünf Stuttgarter Künstlerinnen, die ebenfalls Mütter* sind, mit Arbeiten, die sich mit Fürsorge, reproduktiver Gerechtigkeit, gesellschaftlichen Rollenerwartungen, Naturheilkunde, Verletzlichkeit und Abhängigkeitsverhältnissen auseinandersetzen. Die Ausstellung wird durch ein Veranstaltungsprogramm eröffnet, das Antworten auf die Frage sucht: Welche strukturellen Veränderungen im Kunstbereich sind notwendig, um den Lebenswirklichkeit von Künstler*innen mit Sorgeverantwortungen gerecht zu werden?
In Vorträgen, Performances und Workshops sind die Teilnehmenden eingeladen, über die Beziehung von Kunst und Fürsorge zu lernen und kollektiv Strategien und Forderungen auszuloten, wie den Bedürfnissen von Sorgearbeitenden in der Kunst Rechnung getragen werden kann.
“Mothers*, Warriors, and Poets: Fürsorge als Widerstand” verfolgt das Ziel, kunstschaffende Eltern in der Region zu vernetzen – und alle, die für diese Themen Sorge tragen möchten. Kunstschaffende mit Sorgeverantwortung sollen in ihrer Arbeit und ihren Rahmenbedingungen bestärkt werden; bestehende Initiativen und Widerstandsenergien sollen zusammengebracht werden, um ein kollektives Manifest für einen gerechteren Kunstsektor in Stuttgart und Umland zu verfassen.
“Mothers*, Warriors, and Poets” ist eine künstlerisch-aktivistische Plattform, die von den Stuttgarter Künstlerinnen Anna Gohmert, Renate Liebel und Marie Lienhard gegründet wurde, um die Beziehung zwischen künstlerischer Produktion und Mutterschaft* zu hinterfragen und neu zu verhandeln. Der Name der Platform ist inspiriert von der Selbstbeschreibung der Schwarzen Feministin Audre Lorde, “black, lesbian, mother, warrior, poet.” Für Lorde war es von zentraler Bedeutung, sich mit mehreren Begriffen gleichzeitig zu beschreiben, da diese die Komplexität ihrer Identität als auch ihrer Kämpfe als Schwarzer Feministin, Künstlerin, und Mutter* aufzeigt – Eine Mutter*-Künstler*in zu sein bedeutet, gleichzeitig eine Krieger*in zu sein, und radikal und sinnbildlich wie eine Dichter*in zu denken. Für diese Ausgabe von “Mothers*, Warriors, and Poets” luden die drei Initiatorinnen der Plattform die Künstlerinnen Anna Schiefer und Julia Wirsching ein, sowie Didem Yazıcı und Sascia Bailer als Kuratorinnen – alle lassen sich als freie Kulturschaffende mit Sorgeverantwortung in Baden-Württemberg verorten.
*Wir verwenden den Begriff Mutter mit einem *, um diesen für alle Menschen mit Sorgeverantwortung zu öffnen.
Zugänglichkeit der Ausstellung
- Alle Räume sind rollstuhlgerecht
- Audiotranskripte für Videoarbeiten der Ausstellung
- Audio-Einführung in die Ausstellung (auf Deutsch, inkl. QR-Code zum Abspielen per Smartphone)
- Ausstellungstext verfügbar in Deutsch, Englisch und Türkisch
- Stillraum ist vorhanden
Bei weiterem Unterstützungsbedarf bitte Kontakt aufnehmen unter contact@mothers-warriors-and-poets.net
In Kooperation mit DAS BÜNDNIS.
Gefördert durch die Stadt Stuttgart.
Mothers*, Warriors and Poets von Didem Yacizi
Mothers*, Warriors and Poets ist ein Ausstellungs- und Diskursprogramm, das sich auf die Frage konzentriert, was es heute bedeutet, eine Mutter und eine Künstlerin zu sein in einer Kunstwelt, die davon ausgeht, dass Künstler keine Kinder haben. Anstelle einer illustrativen Ausstellung über Mutterschaft/Elternschaft und zeitgenössische Kunst kommen wir zusammen, um über die Dynamik des Künstlerseins als Mutter/Elternteil zu sprechen – durch Kunstwerke, Forschung und aktivistische Projekte. Ob Frauen, Trans, Männer, nicht-binäre Menschen oder gleichgeschlechtliche Paare, alleinerziehende Mütter, selbstbestimmte Kinder oder polyamore Menschen, alle Künstler: innen, die Eltern sind, erleben ähnliche Strukturen, die begrenzt, nicht unterstützend und diskriminierend sind. Als unabhängige Kunstschaffende, derzeit schwangere Frau und nicht-westliche Person, die in Deutschland lebt, komme ich zu der Erkenntnis, dass der Akt der mütterlichen Selfcare nicht nur bedeutet, in guten und schlechten Zeiten zärtlich mit sich selbst zu sein, anstatt zu urteilen, sondern auch ein Akt des Widerstands sein kann. Wahrscheinlich ist eines der größten Dinge, die wir uns im Leben zugute kommen lassen können, zu wissen, wie wir uns selbst bemuttern können. In Audre Lordes (1932-1994) Essay “Eye to Eye” schreibt sie, dass wir lernen können, uns selbst zu bemuttern: “Es [sich selbst zu bemuttern] bedeutet, dass wir die Autorität über die eigene Definition etablieren müssen, eine aufmerksame Sorge und Erwartung des Wachstums, die der Beginn jener Akzeptanz ist, die wir nur von unseren Müttern zu erwarten gelernt haben. Es bedeutet, dass ich meinen eigenen Wert bekräftige, indem ich mich für mein eigenes Überleben einsetze, in meinem eigenen Selbst und im Selbst anderer Schwarzer Frauen. Auf der anderen Seite bedeutet es, dass ich mich, während ich meinen Wert und meine echte Möglichkeit erfahre, weigere, mich mit weniger zufrieden zu geben als mit dem rigorosen Streben nach dem Möglichen in mir selbst, indem ich einen Unterschied mache zwischen dem, was möglich ist, und dem, wozu mich die Außenwelt treibt, um zu beweisen, dass ich ein Mensch bin.” Inspiriert von den Kämpfen und der Arbeit des schwarzen Feminismus und Audre Lordes Idee, uns selbst zu bemuttern, ist die Ausstellung nach ihrer Selbstbeschreibung “schwarz, lesbisch, Mutter, Kriegerin, Dichterin” benannt. Für Lorde war es entscheidend, mehrere Adjektive zu wählen, da sie die Komplexität von sich selbst und ihrer Vision würdigt. Eine Mutter/Eltern-Künstlerin zu sein, bedeutet gleichzeitig eine Kriegerin zu sein und radikal und metaphorisch zu denken wie eine Dichterin.
Ob sich das durch eine Pflanze namens ‘Mutterkraut’, eine postkoloniale feministische Perspektive oder zuckrige und salzige Beziehungen zu unseren Müttern, die Zerbrechlichkeit des Mutterseins, die durch die (Un-)Balance von Luftballons demonstriert wird, die Erkundung des weiblichen Widerstands in der süditalienischen Volkstanz- und Musiktradition der Tarantella, Gegenstatements zu Künstlern, die argumentieren, dass das Muttersein mit dem Künstlerdasein kollidiert, ein vielschichtiges filmisches Essay einer werdenden Mutter und der Umgang einer alleinerziehenden Mutter mit der Menopause zeigt, die Ausstellung manifestiert verschiedene Formen und Kämpfe des Künstlerelternseins. Im Jahr 2021 gab die Künstlerin Joanne Masding einen dringenden und zeitgemäßen Leitfaden mit dem Titel “How Not To Exclude Artist Parents: Some Guidelines for Institutions and Residencies’ im Internet. Der von der Kunstkritikerin Hettie Judah und einer Gruppe von Künstlermüttern gemeinsam verfasste Leitfaden besteht aus zehn klaren Punkten, die faire Arbeitsbedingungen für Künstlermütter und -eltern fordern. Im Rahmen des Diskussionsprogramms wird Masding über den Prozess der Arbeit an der Richtlinie sprechen. Im Anschluss an den Vortrag wird es eine offene Diskussion darüber geben, was getan werden kann, um die Arbeitsbedingungen für Künstlermütter und -eltern zu verbessern. Nach der Ausstellung werden wir unsere Forschung über kritisches Denken und künstlerische und literarische Praktiken zu Mutterschaft und Kunst in verschiedenen Formen fortsetzen. Ich wurde von den Stuttgarter Künstlerinnen Anna Gohmert, Marie Lienhard und Renate Liebel, die dieses Projekt initiiert haben, eingeladen, diese Ausstellung zu kuratieren. Diesem kollektiven Geist folgend, haben wir alle Teilnehmerinnen von Mothers, Warriors and Poets gebeten, den Ausstellungstext mit ihren Statements zum Ausstellungskonzept mitzuschreiben, achten wir auf ihre Worte. – Didem Yazıcı
(*Mütter, Eltern und alle, die sich selbst bemuttern)
Katharina Pehtke: Frauen in der Kunstwelt, was wollt Ihr nur? Seht ihr nicht, dass das Bild besetzt ist? Dass Genius eine einsame und nur auf sich selbst bezogene männliche Figur ist – und dieses Bild nichts mit euch zu tun hat! Warum geht Ihr nicht nach Hause und tut dort, was getan werden muss? Kümmert Euch um Kinder, seid gute Mütter! Sie brauchen Euch – und nur Euch. Ihr könnt es selbst sehen: Feminismus ist eine Fata Morgana! Schaut genau hin!
Joanne Masding: Mutterschaft ist zwar kein zentrales Thema in meinem Schaffen, aber ich mache Arbeiten, um darüber nachzudenken, was uns dazu bringt, Dinge zu erschaffen, zu produzieren, zu gebären, und was es bedeutet, der Welt etwas hinzuzufügen. Dennoch hat es mich überrascht, dass ich mich mit anderen berufstätigen Eltern verbündet habe und mich für die Unterstützung von Künstlern, die Kinder großziehen, einsetze. Es begann, als ich Mutter wurde, weil sich meine Bedürfnisse mit den Angeboten der Kunstwelt, in der ich zu arbeiten gewohnt war, überschnitten – oder auch nicht. Diese notwendige Arbeit war für mich unsichtbar, bis ich persönlich davon betroffen war. Vertraute Räume wurden für mich schwerer zugänglich oder ganz geschlossen; Residenzen, Vernissagen, Abendveranstaltungen, Übernachtungen für Ausstellungsinstallationen, Ausschreibungen für Arbeiten, die in den letzten 12 Monaten entstanden sind.
Ich hoffe, dass wir angesichts von etwas, das starr, eingebettet und schwierig zu sein scheint, Wege finden können, wie wir die veralteten, zugrunde liegenden Strukturen aufbrechen und öffnen können, und dass wir diese Teile in einer neuen Form wieder aufbauen können, indem wir uns gruppieren und die Gemeinsamkeiten der Erfahrungen unter uns teilen
Renate Liebel: zwischen Wünschen und Konsterniert sein, zwischen Zähne Zusammenbeißen und Tief Atmen, zwischen mir und den anderen, zwischen 10 Bedürfnissen und Zufriedenheit, zwischen Ausruhen und Kämpfen, zwischen Famile, Job, Kunst, Beziehungen, Wirklichkeiten fließen wir durch die Zustände und haben nicht mal so unerhebliche Reichweite.- zumindest in der Bubble. Schade nur, dass die gesellschaftliche Sensibilisierung dazu fehlt: Aus dem Manifest von Mehr Mütter für die Kunst:WOLLEN WIR IN EINER GESELLSCHAFT LEBEN, DIE FRAUEN IN DER KUNSTPRODUKTION IHRER MUTTERSCHAFT WEGEN DISQUALIFIZIERT? WOLLEN WIR AUF DIE KÜNSTLERISCHEN ERZEUGNISSE JENER FRAUEN, DIE SICH DURCH IHRE MUTTERSCHAFT EIN WEITERES ERFAHRUNGSFELD ZUGÄNGLICH GEMACHT HABEN, VERZICHTEN? IST DIE KUNSTWELT HEUTE NACH WIE VOR DERART MÄNNLICH DOMINIERT? AKZEPTIEREN WIR DAS?
Anna Gohmert: Ich empfinde es als ein seltsames Ungleichgewicht, dass die Gesellschaft von Eltern erwartet: Plane ergebnisorientiert; Agiere vorausschauend; Investiere wirtschaftlich und nachhaltig. Erziehe immer im Sinne des Bedürfnisses des Kindes, und bedenke, dass alles auf die Entwicklung des Kindes, einen positiven Einfluss haben soll.. (Selbstverständlich auch für die zukünftige Rolle des Kindes in der Gesellschaft).
Eigentlich könnten sich alle Geschäftspartner:innen glücklich schätzen, wenn sie Eltern in ihrem Team haben. Denn Eltern sind Projektmanager:innen deluxe. Leider fehlen diese in zu vielen Teams, was schlimmerweise mit den Strukturen des Arbeitsmarktes zu tun hat.
Trotz der Erfahrung im Koordinieren und Arbeitsaufwand vs Zeit einschätzen zu können, wird Eltern, ganz besonders Frauen, die eben durch eine Schwangerschaft, berechtigterweise ein Anrecht auf Mutterschutz haben, und sich so temporär aus den Arbeitsprozessen ausklinken, der Einstieg in das Berufsleben erschwert.
Gemäß meiner Erfahrung, ist das Projektmanagement, bei denen Eltern Teil des Teams sind, immer besser. Das Problem, dass Eltern, besonders den „Müttern“ die Rolle der unzuverlässigen Arbeiter:in zugeordnet wird, liegt daran, dass Frauen oft schlechter bezahlt werden als Männer und sie deswegen mehrere Jobs gleichzeitig innetragen. Deswegen scheint es, als würden sie weniger oder langsamer arbeiten – obwohl meist das Gegenteil der Fall ist. Die gesellschaftliche Struktur schafft Bedingungen, die sich nicht an der Teilhabe von Familien orientiert – man ist das nur schon so gewohnt, dass man alles auf Biegen und Brechen dann letztendlich doch geregelt bekommt, da die Liebe zur Familie diesen Aufwand trägt und (fordert).
Dieser Herausforderungen zu meistern, hinterlässt Spuren. Begleiterscheinungen sind Erschöpfung und fehlende Zeit sich den Kindern oder dem eigenen Privatleben zu widmen. In den Künsten verhält sich das spezifisch: Das Kunstsystem war und ist familienunfreundlich: Die künstlerische Praxis zu etablieren, was heißt, sie in Kontexten zu verankern, die ermöglichen sich über das eigene künstlerische Schaffen zu finanzieren, ist schwierig. Handelt es sich um ein Familienkonzept bei dem nicht alle unter einem Dach leben, potenziert sich die Herausforderung.
Alessandra Eramo: Ein neues Leben, das Neugeborene, das in mir heranwächst, eine einzigartige Genealogie des Geistes, die Entstehung eines Wesens, das wächst und nicht wissen, was geschehen wird, Ungewissheit zwischen Innen und Außen, Ungewissheit, die Schönheit erzeugt. Ungewissheit, die Wunder erzeugt. Ungewissheit, die Macht erzeugt. Das introvertierte Begehren spielt und bewegt sich zwischen Innen und Außen, eine zarte Stimme, die von einem Schicksal erzählt, mit dem wir noch zu kämpfen haben. Meine Haut ist dünn und durchsichtig, meine Haut ist so hart wie die eines Krokodils. Vergossenes Blut, Blut und Schmerz. Mein großes Privileg ist es, verstanden zu haben, was Schmerz ist. Ein Stück von mir, das sich löst. Anderes von mir. Anderswo. Ein Wesen, das mir direkt in die Augen schaut und doch nicht sprechen kann, Worte sind nutzlos. Das ist mein ganz Herz, die Liebe für die Welt. Unermessliche Liebe ohne Ende. Wann werden wir endlich alle Mütter sein können? Brauchen wir Kampf und Krieg, um ein wenig mehr zu lieben? Wir können lernen, Mütter und Kämpferinnen zu sein. Mütter, Dichterinnen und Kriegerinnen.
Lerato Shadi: Ich denke, wir sollten den Elternteilen, die sich als männlich identifizieren, mehr Fragen über Erziehung, Betreuung und ihre Idee von Elternschaft stellen. Ich denke, es ist wichtig, nicht nur Frauen die Verantwortung und Gestaltung solcher Räume zu überlassen, da alle davon profitieren, wenn diese geschaffen werden.
Nathalie Anguezomo Mba Bikoro: “Mütterliche Momente sind nicht immer schön, sie sind dazu da, dich radikal zu verändern. Die mütterliche Kraft ist komplex, schön und dunkel, schwierig, verwirrend und seltsam. Mutterschaft ist nicht unschuldig und nicht geschlechtsspezifisch, sie hat mit Ermächtigung, Tod, Queering und Magie zu tun. Widerstand hat nicht nur mit Verweigerung zu tun, sondern auch mit dem Echo der Stimmen, mit Sichtbarkeit und Resignation. Widerstand erfordert Vorstellungskraft und die Dringlichkeit zur Transformation. Radikal neu erfinden mit einer Zärtlichkeit, die es nicht nötig hat, dass man sich wohlfühlt.” (Interview mit ‘Performance & the Maternal Research’, The University of South Wales 2020)
Chloe Coomans: tägliches Jonglieren und verlangt eine ständige Hartnäckigkeit. Meine Töchter sind mit einer Mutter aufgewachsen, die unermüdlich arbeitet, war nicht immer leicht für sie war. Aber sie haben auch verstanden, wie wichtig die Suche nach und der Einsatz für Poesie und Hingabe ist.
Marie Lienhard: Über die Entwicklung des fluiden Zustands und der Mutterschaft*: die Situation, bzw. der Prozess, Mutter* zu werden, ist für jede* Werdende* ein persönlicher wie einzigartiger Sprung in das komplett Unbekannte, bei dem die einzige Gewissheit, die Verantwortung für ein neues Leben ist.
Die Entdeckung ganz neuer Gefühle und Gedanken, vor allem während der Verantwortung von Schwangerschaft, Geburt und den ersten Momente des Lebens von einem Neugeborenen, sind für jede*n anders – und es wird noch klarer, wie absolut unersetzlich die Mutter* und werdende Elternteil* sind (vor allem, wenn diese mit oder an der Brust stillen). Genau hier entsteht eben jene große Veränderung in zwei entgegengesetzte Richtungen: diese grenzenlosen neue Gefühle und Gedanken, aber auch stetige körperlichen Veränderungen, öffnen ganz neue Perspektiven des Eigenen und Geteilten, stehen jedoch den einschränkenden physischen und logistischen Möglichkeiten der täglichen Realität gegenüber.
Diese Erfahrung verändert die (Wahrnehmung der) werdenden Eltern und bringt eine massive emotionale und mentale Erweiterung mit sich, während gleichzeitig extreme Einschnitte in die persönlichen Freiheiten stattfinden. Die Art und Weise, wie Mütter*/Gebärende* auf diese Situation reagieren, hängt von unzähligen Faktoren ab und ist daher natürlich sehr individuell. Jedoch ist klar, dass dieses Ereignis eine starke persönliche Auswirkung hat, die offensichtlich jeden Bereich, einschließlich des Berufslebens, langfristig verändert. Beginnend mit dieser Realität des Alltags, in denen sie die (Haupt)verantwortung für Kinder und Haushalt übernehmen, über die Schwierigkeiten, dies mit dem künstlerischen Schaffen, bis zum unermüdlichen Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter: Hierzu gehören dieinneren und äußeren Rollenkonflikte, individuelle Belastbarkeit, Zusammenhalten der eigenen sowie der gesamtgesellschaftlichen Familienrealitäten, (regretting) motherhood & sisterhood.
Für das Projekt “MOTHERS* WARRIORS & POETS” reflektiere ich unter anderem über über Prozesse, die sich mit dem Begriff “fluid” am Besten beschreiben lässt. Ich freue mich, dass dieses Projekt Räume eröffnet, um auch die Fluidität zu feiern, die wir entwickeln müssen, um uns als menschliche Wesen zu formen und unsere künstlerische Produktion zu erweitern.
Meine Idee von Fluidität zwischen Natur und Kunst versteht sich als frei fließende Bewegungen sowie als Kreisläufe, wie sie zum Beispiel bei den Elementen Luft, Wasser, Wachs und Blut zu erleben sind. Meine ideelle Vorstellung ist Gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung der Ressource “Fluidität” durch eine individuell bestimmbare Aufteilung der elterlichen Verantwortung.
Meine These ist hierbei, dass die Entwicklung dieser fließenden Übergänge keine reine “mütterliche” Tugend ist, sondern eine Fähigkeit, die sich über Schwangerschaft sowie Geburt (gegebenenfalls an der Brust stillen) hinaus entwickelt in der Bereitschaft, sich den als mütterlich zugesprochenen Fähigkeiten jenseits von Rollenbildern anzunähern, sich selbst, seinen (eigenen) Kinder und der Gesellschaft zuliebe.
(Frei Übersetzt von dem Englischen von Shana Levy)
Lisa Tuyala: Nach der Geburt meines ersten Kindes vor 12 Jahren, begann erst mein Bewusstsein dafür, dass unsere Gesellschaft und insbesondere die Erwerbsarbeit, wozu ich trotz der prekären Situation vieler Künstler*innen, selbstverständlich professionelles künstlerisches Schaffen zähle, (immer noch und schon wieder) von kapitalistischen, patriarchalen und rassistischen Strukturen geprägt sind. Als Schwarze Frau und Mutter spielen für mich die Reproduktion und Verstärkung “traditioneller” Geschlechterbilder sowie westlicher Stereotypen und Vorstellungen künstlerischen Schaffens innerhalb der Kunstwelt eine zentrale Rolle. So scheint die Vorstellung des kantischen einsamen Genies immer noch vorherrschend. Das zeigt sich z.B. in den Förderstrukturen zeigt, aber auch in den oft praktizierten und verlangten Produktionsweisen, die beispielsweise Personen mit Pflegeverantwortung ausklammern.
Diese Pflegeverantwortung wird zudem noch zumeist Frauen zugesprochen und auch gegenwärtig vor allem von diesen ausgeübt. Dies möchte ich benennen und trotzdem versuchen dieses Bild nicht weiter zu zementieren. Audre Lorde schreibt in „The Master’s Tool Will Never Dismantle The Master’s House“1, dass Mutterschaft nur in einem patriarchalen System die einzige soziale Macht („social Power“) von Frauen* sei. Ihrer Meinung nach liegt die Wahre Macht von Frauen* in der Notwendigkeit und dem Bedürfnis gegenseitiger Pflege. Es ist wichtig zu erwähnen, dass Audre Lordes Text eine Antwort ist, auf einen Feminismus, der die Lebenswirklichkeit und Beiträge von Frauen* of Color nicht mitdenkt. Sie spricht sich dafür aus, anzuerkennen, dass Frauen* und ihre Lebenswirklichkeiten unterschiedlich sind; diese Unterschiede jedoch in wechselseitiger Abhängigkeit zueinanderstehen. In der Anerkennung dieser Unterschiede begründet sich für sie die Kraft des Verbindenden. Für mich bedeutet das, dass Solidarität in unserem künstlerischen Schaffen (und natürlich darüber hinaus) stärker in den Fokus rücken muss.
Was würde passieren, wenn wir das Pflegen und Füreinander Sorgen aus dem unterdrückenden und gettoisierten Bereich der unbezahlten „Frauenarbeit“ herauskatapultierten und als grundlegend für unser menschliches Miteinander betrachten würden, jenseits unterdrückender Mann-Frau Zweiteilungen und kapitalistischer Ordnungsprinzipien? Was würde geschehen, wenn wir nicht nur wüssten, sondern bis in unser Inneres spüren würden, dass wir alle voneinander abhängig sind?
[1] Ein Kommentar zu dem Panel „The Personal and the Political“ auf der „Second Sex Conference“ am 29. Oktober 1979